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3.3 Leseprobe: Ethische Prinzipien

Schon Aristoteles hatte sich Gedanken gemacht, was denn ein gutes Leben sei und dabei die Ethik als Forderung nach Tugendhaftigkeit beschrieben. Der dabei wichtige Weg der Mitte – mesotes – ist in der Folge eine Herausforderung im Umgang mit komplexen Situationen, denn die Einschätzung der Mitte (zwischen Übermaß und Mangel) liegt wieder im Auge des Betrachters. Die angesprochene Komplexität in der Gesellschaft des antiken Griechenland war wohl nicht in der Art überbordend, wie sie heute erlebbar ist, das Prinzip bleibt jedoch gleich. Die oft gestellte Frage nach Gut und Böse hat im Laufe der Philosophiegeschichte zu unterschiedlichsten Überlegungen und Positionen geführt. Damit lassen sich dicke Bücher füllen. Auch heute ist dies eine der essenziellen Fragen für alle Menschen, denn sie berührt auch die Frage nach dem Umgang mit anderen Menschen und dem Sinn des Lebens.

Werfen wir einmal einen kurzen Blick auf Überlegungen zweier Philosophen, deren Positionen zum Teil die Grundlagen unserer heutigen Gesellschaften mit beeinflussen. Immanuel Kant (1724 – 1804 in Königsberg / Preußen – heute Kaliningrad / Russland) präzisiert seinen ethischen Grundsatz im sogenannten Kategorischen Imperativ – den wir in mehreren Formulierungen vorfinden. Eine davon, ist die sogenannte Zweck-Formulierung: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“
(Kant, 2007, GMS 433) Dies bedeutet, dass man niemals einen Menschen als Mittel dazu missbrauchen soll, einen – bestimmten – Zweck zu erreichen. Jeder Mensch, wäre immer als Zweck an sich zu betrachten. Nimmt man diese Position ernst, so würde dies bedeuten, dass viele Aspekte der heute gelebten gesellschaftlichen Abläufe, wie zum Beispiel die anerkannte Wirtschaftsordnung des Kapitalismus und des globalisierten Handels nicht unter allen Umständen als ethisch begründete Handlungen argumentiert werden könnten. Zumindest ein intensiv geführter Diskurs unterschiedlicher
wissenschaftlicher Fachrichtungen sollte die Umsetzung solcher Modelle begleiten.

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Diese Prinzipien der lokalen, regionalen Wirtschaftsakteure sind in einer global organisierten Wirtschaft nicht aufrecht zu halten. Sogar wenn wir lokal einkaufen, sind wir zum Großteil mit global organisierten Unternehmen konfrontiert. Die Motivation, bei vertrauenswürdigen Kaufleuten einzukaufen ist nur mehr in geringem Ausmaß vorhanden. Argumente, sich für ein bestimmtes Produkt oder eine Leistung zu entscheiden, werden hauptsächlich durch den Preis, die möglichst rasche Verfügbarkeit und manchmal durch psychologisch motiviertes Marketing bestimmt.

Die Kombination der von Immanuel Kant und Adam Smith formulierten Prinzipien stellt somit die ethischen Grundlagen der aktuellen Wirtschaft laufend auf die Probe – besonders unter dem Aspekt eines globalisierten und digitalisierten Angebots an Waren und Dienstleistungen. Dazu kommt schließlich noch ein weiterer Aspekt der vernetzten Gesellschaften: die mittels der verfügbaren Informationen (= Daten = Big Data) vermehrt vorhandenen steuerungstechnischen Möglichkeiten werden auch auf Menschen anwendbar. Wie kann das sein? – scheint eine berechtigte Frage zu sein. Eine mögliche Antwort ist in der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und den damit verbundenen Erwartungen zu suchen.

[Kant 2007] Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2007